Aktuelles Theater Radio/Hörstücke
Vita
Kontakt Mehr
Reigen
von Arthur Schnitzler
Staatstheater Wiesbaden, 2017
Mit: Evelyn M. Faber, Anja S. Gläser, Kruna Savić, Llewellyn Reichmann,
Matze Vogel, Stefan Graf, Ulrich Rechenbach und Uwe Kraus
Regie: Felicitas Braun
Bühne: Sonja Böhm
Kostüm: Aleksandra Kica
Dramaturgie: Katharina Gerschler




Das mit dem Gedankenstrich
von Grete Götze (FR)
Felicitas Braun zeigt schlüssig Schnitzlers „Reigen“ in Wiesbaden.
Wie stellt man Lust, wie Erregung dar, ohne vulgär zu werden? Diese
Frage müssen sich Regisseure des „Reigen“ noch immer stellen, auch wenn
es heute nicht mehr wie bei der Uraufführung im Jahr 1920 darum geht,
den Text wegen Unzüchtigkeit zu verbieten. Aber in den zehn Szenen, die
der Österreicher Arthur Schnitzer als 34-Jähriger schrieb, geht es
ständig zur Sache, was im Text durch sehr bekannt gewordene
Gedankenstriche angezeigt wird: Die Dirne mit dem Soldaten, der Soldat
mit dem Stubenmädchen, das Stubenmädchen mit dem jungen Herrn, und
immer so fort, bis sich der Kreis schließt, wie beim klassischen
Rundtanz eben.
Jungregisseurin Felicitas Braun, durch ihre Ausbildung am Max Reinhardt
Seminar und Regieassistenzen dort ohnehin mit Nähe zu Österreich, hat
sich für die Aufführung an der Wiesbadener Wartburg einfache, dabei
einleuchtende Bilder überlegt (Bühne: Sonja Böhm). Eine steile Treppe
links, eine riesige Spinnwebe rechts mit Schreibtisch dahinter und ein
paar Requisiten reichen den Schauspielerinnen und Schauspielern aus, um
behend von der einen zur nächsten Szene zu gelangen.
Und auch wenn Dirne und Stubenmädchen nicht mehr so genannt werden, so
hat man doch den Eindruck, dass heute genauso gelogen, gekränkt und
gejuchzt wird, wenn es um die Lust geht. Am eindrücklichsten verkörpert
Anja S. Gläser als Stubenmädchen ihre unerfüllte Sehnsucht, gehüllt in
einen riesigen Fettanzug. Wie der Soldat sie in ihrer ganzen
Körperfülle von hinten nimmt, wie sie dabei staunend-irritiert nach
vorne stiert, um sich nach diesem lieblosen Quickie verschämt ihr
grünes Kleid über den Allerwertesten zu schieben, und so ängstlich wie
hoffnungslos fragt „Sag wenigstens, hast mich gern?“, und wie er
antwortet „Na, das musst doch g’spürt haben, Fräul’n Marie, ha!“ – das
ist einer jener starken Bühnenmomente, die im Gedächtnis bleiben.
Aber Frau Gläser ist noch gar nicht fertig, und zeigt gleich in der
nächsten Szene mit Stefan Graf als jungem Herr, dass man enthemmten
Geschlechtsverkehr ebenso indirekt verkörpern kann, in dem man
nebeneinander auf dem Schaukelstuhl wippt. Und wippt. Und dabei
eigentlich sowieso alleine ist.
Auch Kruna Savic als Ehefrau, eben noch mit dem Liebhaber am Gipfel
ihrer Lust, steht jetzt herrlich frustriert in schwarzer Strumpfhose
neben ihrem unbemühten Ehemann, der offenbar denkt, man könne sich beim
Verführen der eigenen Ehefrau nebenbei noch mal kurz einen Pickel auf
der Brust ausdrücken, bevor es zur Nächstbesten geht.
Auch wenn sie bisweilen noch die eine oder andere Idee zu viel hat,
etwa indem die Schauspieler kurz mal aus der Rolle fallen, um
Regieanweisungen Schnitzlers einzubinden, ist der Regisseurin mit
diesem „Reigen“ dank eines starken Ensembles ein schlüssiger Abend
gelungen. Für diese Sache mit dem Gedankenstrich findet er geschickte
Alternativen zur direkten Nachahmung.
Wenn man dann die Wartburg verlässt und als erstes auf eine riesige
Parship-Werbung blickt, hat man nicht den Eindruck, dass sich in diesem
Reigen viel geändert hat seit damals, nur hat er andere Spielarten.