EIN MONOLOG FÜR EINEN EINSAMEN SCHAUSPIELER UND 7 ZWERGE von ANATOL VITOUCH
MIT MAXIMILIAN GRÜNEWALD am STAATSTHEATER KARLSRUHE
Bühne und Kostüm: Timo von Kriegstein Dramaturgie: Brigitte Ostermann und Annalena Schott
Regie: Felicitas Braun
Premiere: 13.5.2016
Die Deutsche Bühne, Björn Hayer, 14.5.2016
Jede
Generation tritt ihre Suche nach dem verlorenen Paradies an. Was sie
bewegt, ist das Echte und Wahre, das Ursprüngliche jenseits einer
entfremdeten Zivilisation. Den zahllosen Aussteigern der Moderne – von
den Lebensreformer bis zu den Hippies – dürfte Henry David Thoreaus
halbfiktionaler Bericht „Walden oder Leben in den Wäldern" (1854) als
heilige Schrift gegolten haben. Es ist ein Lob auf die Askese, eine
Anleitung zur Abkehr von Luxus und Dekadenz, der Versuch, in einer
selbst gebauten Holzhütte im Wald jenes Heil zu finden, das die moderne
Gesellschaft nicht bieten kann.
Am
Badischen Staatstheater Karlsruhe hat man diese Schrift nun
wiederentdeckt und in ironischer Verve neu verfugt. Auf der Bühne der
Uraufführung „Planet Walden", geschrieben von Anatol Vitouch, steht ein
roter Kleinwagen, darin ein Mittdreißiger mit Thoreaus Buch, einem
ausgestopften Dachs und allerhand Dingen des täglichen Bedarfs. Er hat
die Flucht ergriffen, back to the roots. Statt auf den Aufbau einer
neuen Heimat in der Ferne, wie es der gängigen Robinsonade innewohnt,
setzt Regisseurin Felicitas Braun ganz auf die Kraft des inneren
Monologs. Um die One-man-Show lebendig zu halten, spielt Maximilian
Grünewald die Klaviatur sämtlicher Stimmungen und Emotionen, verkleidet
sich als siebter Zwerg, der ein Waldhaus zu bauen bestrebt ist,
imaginiert sich in Captain Kirk oder ergeht sich in einer
scharfzüngigen Anklage des übersättigten Publikums. Bisweilen erklingen
dazu mal Panflötenklänge oder rockige Revolutionssongs. Bunt ist das,
humorvoll zugespitzt – vielleicht das beste, was man aus einer
derartigen Reflexionsprosa herausholen kann.
Großartig
und überzeugend sind dabei vor allem die Brüche und Entzauberungen
dieser Überschreibung des Thoreauschen Textes. Auf mit weißen Laken
bedeckten Stuhlreihen, die spiegelartig zum Publikum angeordnet sind,
wird etwa ein Film projiziert, der den Protagonisten als den Autor von
„Walden oder Leben in den Wäldern" mit Angel und Axt in der Wildnis
zeigt. Ein Naturbursche aus dem Bilderbuch. Doch das Gesamtbild wird
durch die Reihenformation gebrochen. Mehr als verzerrte Nostalgie
bleibt nicht übrig. Auch der einsame Held dieser Inszenierung wird zu
dieser Erkenntnis gelangen – greift er doch schon in der ersten
Existenzkrise nach einer letzten Zigarette. Die Botschaft: Es gibt kein
Außerhalb der menschlichen Gemeinschaft mehr, keine unbelassene Idyllen
und erst recht kein Arkadien mehr, sondern nur das Bewusstsein des
Widerspruchs, in dem wir alle leben. Sehenswert!
BNN, Sibylle Orgeldinger, 17.05.2016
Der
österreichische Autor Anatol Vitouch spannt in „Planet Walden“ den
Bogen von Thoreaus Blockhütte über das heutige Wurfzelt bis hin zum
Raumschiff Enterprise. Regisseurin Felicitas Braun setzt auf
Umkehrungen, Brüche und Widersprüche. Timo von Kriegstein hat die Bühne
als verkehrte Welt gestaltet: Auf der eigentlichen Bühne sitzen die
Zuschauer, während der Schauspieler Maximilian Grünewald den „Monolog
für einen einsamen Schauspieler und Sieben Zwerge" auf der
Zuschauertribüne darbietet. Abgedeckt mit hellen Tüchern, werden die
Stuhlreihen zur entstellenden Projektionsfläche für Wohlfühlfilme über
das Leben in der Wildnis ...
Maximilian
Grünewald meistert den Monolog mit beeindruckendem Körpereinsatz und
vermittelt das ganze Spektrum der Gefühle von Übermut über wachsende
Zweifel bis hin zur Verzweiflung. Denn der Aussteiger muss erkennen,
dass ihm der Weg zum Ursprünglichen verbaut ist: „Zurück zur Natur" ist
längst ein profitables Lifestyle-Konzept; für die Walden-Hütte gibt es
bereits Baupläne, und „Walden" ist der Titel eines Lifestyle-Magazins.
Wohin also soll der Aussteiger gehen? Von wem soll er sich abgrenzen?
Und vor allem: Wem soll er sich mitteilen? Von der Gesellschaft hat er
sich abgewandt, nun fehlt ihm das Gegenüber. Das macht sein Abenteuer
paradox – und das Stück „Planet Walden" überzeugend.